Chile

Eigentlich ist meine Ankunft in Chile nicht gerade unter einem guten Stern gestanden. Es war wieder einer der Tage die man mit seinen Reisebekanntschaften in lustiger Gesellschaft bis früh in die Morgenstunden verbringt und den darauf folgenden Tag seine Verkaterung am liebsten auf einer horizontalen, weichen, gemütlichen Unterlage auskuriert und eigentlich die Besonderheiten eines fremden Landes versäumt. Viele Reisekollegen praktizieren dieses Ritual beinahe täglich und erzählen dann stolz wo sie nicht überall auf ihrer Reise waren, obwohl sie eher den Tresen einer gastronomischen Kulturstätte mit Gleichgesinnten studiert haben.

Es war etwa 4 Uhr früh als ich von der Abschiedsparty in meiner Unterkunft mit der netten Dachterrasse im Herzen von Buenos Aires aufbrach, um den frühen Flieger nach Santiago de Chile zu bekommen. Zwei Stunden Flug über die Anden im Halbschlaf, der immer wieder von ambitionierten Flugbegleiterinnen unterbrochen wurde, haben zusätzlich dazu beigetragen, dass mein Kreislauf eher Beethovens 9te als Bob Marley’s happy sounds spielte. Nicht gerade die besten Voraussetzungen also um in das kürzlich gefallene Chaos eines Erdbebengebietes einzutauchen.
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Zelte in denen die Flugpassagiere abgefertigt werden, eine Decke im Flughafen die provisorisch mit Holzpflöcken gestützt wird um nicht einzustürzen und Risse in der Wand, durch die man die Hand stecken konnte, wurde mit skeptichen Blicken der Ankömmlinge gemustert. Das Gepäck knallte man uns vor die Füße und die Beamten vom Zoll taten in Ruhe und gewissenhaft ihre Pflicht, als wäre das alles rund um sie der Normalzustand.
Die übliche Meute von Taxlern, Geldwechslern und sonst noch diversen Geld-aus-der-Tasche-Ziehern lauerten wie erwartet beim Ausgang des Flughafens. Keine wollte mir den Bus in die Stadt zeigen und so bin ich doch in den Fängen eines übereifrigen Taxifahrers gelandet.
Irgendwie surreal erschien mir die ganze Szenerie, doch mein einziges Ziel war es, so schnell wie möglich in meine Unterkunft zu kommen um mich schlafen zu legen. In dieser geistigen Umnachtung ist mir auch noch ein schwerer Fehler unterlaufen. Ich habe den Fahrpreis fürs Taxi vor Beginn der Abfahrt nicht ordentlich durchgerechnet und so wollte man von mir einen Wucherpreis der ganz offensichtlich Abzocke war und nicht stimmen konnte. Mein gespielter, Furien-hafter Temperamentsausbruch bei dem ich wilde Grimassen zog und mich dabei unberechenbar auf dem Sitz herumbewegte, verhalf mir dann zu einer Preisreduktion. In Europa wäre man mit mir wahrscheinlich direkt in die Nervenheilanstalt wegen Verdacht auf Tourett-Syndrom gefahren, doch mein wildes Herumgefuchtel von der Rückbank mit lautstarkem Schimpfen und das Auf-ihn-Einreden in verschiedenen Sprachen hat den Fahrer sichtlich so nervös gemacht, dass er bereit war den Fahrpreis letztendlich auf ein Viertel zu reduzieren. Na ja, für mich war’s wieder mal eine Lehre - vielleicht aber auch nicht nur für mich ;-)
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Neben Brasilien und Argentinien gehört Chile zu den wirtschaftlich am weitesten entwickelnden Staaten in Südamerika und so überrascht es nicht, dass dieser Staat einen recht organisierten und soliden Eindruck macht. Die Millionen-Metropole Santiago ist das pulsierende Zentrum wo fast 2/3 der Einwohner des gesamten Landes leben. Trotzdem ist Santiago eine urbane Siedlung in der man die Ästhetik suchen muss. Man kämpft mit den üblichen sozialen Spannungen und Problemen südamerikanischer Städte und selbst hier tut man gut Nachts alleine nicht zu Fuß auf den Straßen zu gehen.
Ganz anders jedoch stellt sich das dünnbesiedelte, übrige, nichtstädtische Land dar. Von den Weiten Patagoniens und der Tundra-artigen Landschaft ganz im Süden, über sanfte Weinhügel in der Mitte, bis hin zu einer mit Spannung gefüllten Leere der Atacama-Wüste im Norden streckt sich Chile 4300 Kilometer der Pazifischen Küste entlang.

Trekking- und Outdoor-Entusiasten können in Patagonien Natur auf einzigartige Weise erfahren. Obwohl die Berge im Torres Del Paine Nationalpark irgendwie europäisch anmuten und manchmal an die Südtiroler Dolomiten erinnern, sind doch die amerikanischen Dimensionen - nämlich alles ist viel größer und weitläufiger - das was hier in Kombination eine gewisse Faszination auslöst. Extreme Wettersituationen sind an der Tagesordnung und der starke Wind bläst einem oft unbarmherzig scharf ins Gesicht, doch schon das nächste Morgen- oder Abendrot verzeiht diese Garstigkeit. Riesige Gletscher schieben sich bis weit hinunter durchs Gelände und lassen türkisblaue Seen entstehen auf denen manchmal sogar kleinere Eisberge treiben. Dazu die raue patagonische Steppe mit ihren goldenen Grashügeln und den wilden freilaufenden Vicunas (wilde Lamas) bilden eine Komposition die wahrscheinlich diese Anziehungskraft ausmacht von denen viele Reisende zu berichten wissen.

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Die zu den trockensten Wüsten der Erde zählende ‘Desierto de Atacama’, bietet die Möglichkeit tausende Kilometer an der Westküste Südamerikas zurückzulegen ohne auch nur einen Baum zu sehen und Sand bis in die hintersten Winkel der Nasen-Nebenhöhlen zu bekommen. Doch auch wenn sich das wenig reizvoll anhört, hat diese Leere und Weite des Landes ihre Schönheit. Ganz besonders die Ausläufer des Altiplanos, das Hochland in der Grenzregion zu Bolivien, wo eine Reihe von zum Teil aktiver, bis zu 6000 Meter hoher Vulkan-Kegel in den tiefblauen Himmel ragen. Man würde warscheinlich auch nicht vermuten, dass hier Flamingo-Kollonien existieren, deren Lebensraum die Salzseen und -Tümpel darstellen.  Für fotografische Abwechslung ist somit auch gesorgt.
Hier befinden sich auch exotische Bodenschätze insbesondere eine der weltweit größten Lithium-Vorkommen, das Rohöl von morgen, die dem Land eine goldene Zukunft prophezeien.